Gefährlicher Trend: Gebrauchte Reifen im Internet kaufen

Fazit der Fachleute von Continental:
„Ich würde definitiv keinen der Reifen fahren wollen!“

Von Petra Grünendahl

Viele Reifenschäden sind von Laien kaum zu erkennen. Dennoch trauen sich Autobesitzer, auf Auktionsbörsen im Internet gebrauchte Reifen zu ersteigern. Manch einem, der ein Reifenschnäppchen machen will, scheint eine Beurteilung aufgrund eines Verkaufstextes und evtl. von ein paar Fotos auszureichen. Über eine Millionen Angebote zu „Winterreifen“ gibt es aktuell bei eBay. Fast 60.000 davon sind „gebraucht“ – und häufig genug von privat. Ein privater Verkäufer kann den Zustand der Reifen aber zumeist ebenso wenig realistisch einschätzen wie der Käufer. Er ist mit „Gebrauchsspuren, kleinere Beschädigungen“ rechtlich aus dem Schneider, Gewährleistung oder Rücknahme sind ausgeschlossen. Der Verkäufer geht dabei kein Risiko ein. Der Käufer dagegen schon!

Das Profil sieht ja fast noch in Ordnung aus, aber die Reifen sind 9 (!) Jahre alt: „DOT 3105“ steht für die 31. Kalenderwoche 2005. Screenshot von eBay.
Das Profil sieht ja fast noch in Ordnung aus, aber die Reifen sind 9 (!) Jahre alt: „DOT 3105“ steht für die 31. Kalenderwoche 2005. Screenshot von eBay.

Der deutsche Reifenhersteller Continental hatte im September dieses Jahres 32 gebrauchte Winterreifen (acht Sätze Reifen) unterschiedlicher Marken im Internet gekauft, ein Satz war dabei sogar runderneuert. Das neueste dieser preiswerten Modelle war im Jahr 2011 hergestellt, die ältesten kamen aus dem Jahr 1987. Mit Ausnahme eines Reifens konnten immerhin die Hersteller und Modellbezeichnungen identifiziert werden. Da die Reifen auf Felge montiert verkauft wurden, hätten Laien auch bei einer persönlichen Besichtigung vor dem Kauf mehrere der Mängel nicht erkennen können. „Ein Nagel im Reifen war von außen kaum zu sehen“, berichtet Lutz Friedrich, Kundendienstmitarbeiter von Continental, der die Reifen begutachtet hatte. „Auch die Beschädigung des Wulstes, also des Kontaktbereiches zwischen Reifen und Felge, wäre kaum zu bemerken gewesen.“ Das Fazit: Keines der online erworbenen gebrauchten Produkte war fehlerlos oder entsprach gängigen Mindestanforderungen an die Sicherheit, da die Mischungen bereits deutlich ausgehärtet waren. Dazu kamen Schäden durch Nägel, Ablösungserscheinungen der Lauffläche und Beschädigungen der Seitenwand.

Technischer Fortschritt ist von außen nicht zu sehen

Technik der Winterreifen. Infografik von Continental.
Technik der Winterreifen. Infografik von Continental.

Winterreifen sind weicher als Sommerreifen: Die flexible Gummimischung verzahnt sich auf Schnee besonders gut mit dem Untergrund. Die Lamellen spielen hier ihr Grip-Potenzial aus. Gummi altert und wird härter: Mit 10 Jahren ist das Material völlig ausgehärtet. Der Satz Reifen von 1987 war knochenhart und hätte – so die haptische Anmutung – fast für (Hart-)Plastik durchgehen können. Auch bei der Reifentechnologie hat sich in den letzten Jahren viel getan – insbesondere bei Premiumherstellern, die viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken. Wie viel Technologie in Winterreifen steckt, sieht man aber nicht: Schwarz und rund sind sie immer noch, auch „ein Profil“ haben sie schon sehr lange.

Ergebnisse der Reifenuntersuchung: Reifenschäden. Infografik von Continental.
Ergebnisse der Reifenuntersuchung: Reifenschäden. Infografik von Continental.

Gekauft haben die Tester von Continental die Reifen auf Felgen. Die Felgen sind aber von den Reifenexperten nicht weiter untersucht worden. Selbst wenn der Käufer es also nur auf die Felgen abgesehen hat: Auch hier geht er ein Risiko ein, denn Schäden sind vom Laien kaum zu erkennen. Das Ergebnisprotokoll des Continental-Kundendienstes verzeichnete weitere Mängel wie zum Beispiel:

  • Risse in der Lauffläche,
  • Wulstanscheuerungen,
  • Nagellöcher ohne Durchstoß, aber bis auf das Gewebe,
  • Mittenabnutzung,
  • Schnitte in der Seitenwand,
  • Deformationen der Seitenwand,
  • durchgehende Nägel und
  • Blockierstellen und umlaufende Beschädigungen der Schulterseite.

Dabei lag die Restprofiltiefe mit Werten zwischen 1,8 und 5,8 Millimetern trotz des relativ hohen durchschnittlichen Reifenalters noch in einem Bereich, der über der durch die Straßenverkehrsordnung definierten gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 mm lag. Diese Grenze halten Experten aber ohnehin für zu niedrig: Unter 4 Millimeter raten sie zu einem Austausch der Winterreifen, um ausreichende Sicherheitsreserven in der kalten Jahreszeit zu bieten. Und älter als drei Jahre sollte ein gebrauchter Winterreifen auch besser nicht sein.

Sicher? – Mit Sicherheit nicht!

Empfehlungen für Autofahrer. Infografik von Continental.
Empfehlungen für Autofahrer. Infografik von Continental.

Das Fazit von Friedrich war eindeutig: „Ich würde definitiv keinen dieser Reifen fahren wollen.“ Das sagt der Fachmann, der den Zustand eines Reifen beurteilen kann. Und wenn das Geld schon nicht für ordentliche neue Winterreifen reicht, dann sollte man für den Kauf von gebrauchten Reifen lieber zum Fachhändler gehen. Der muss die Reifen vor dem Kauf nämlich überprüfen und er hat die Sachkunde Mängel festzustellen, die einem Verkauf entgegen stehen. Die muss der Laie, der im Internet seinen Satz alter Reifen verkauft nicht haben, aber das Risiko trägt allein der Käufer. Ob das Risiko für Sicherheit und Geldbeutel den niedrigen Preis wert ist? – Im Falle eines Unfalles kann billig schnell teuer werden!

Anforderungen an Winterreifen

  • Ausreichende Profiltiefe (mind. 4 mm)
  • Kälteflexible Mischung (keine Erhärtungen)
  • Passend zum Pkw (Größe, Geschwindigkeitsfreigabe, Lastindex)
  • Konstruktion / Mischung auf hohem Niveau, aktueller Stand der Entwicklung
  • Check auf Reifenschäden durch Reifenfachhandel / Autohaus wünschenswert

© 2014 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: eBay-Screenshot (bearbeitet), Infografiken: Continental (3).