Abkommen von der Fahrbahn: Mehr Sicherheit jenseits der Straßen (2001)

Von Petra Grünendahl

Die Allee ist dunkel, immer wieder blendet das Licht durch die Ritzen in den Baumwipfeln. Man kennt die Strecke, fährt hier oft entlang. Etwas schneller kann ja nicht schaden. Die Straße ist kurvig, leicht feucht unter den Bäumen. In einer leichten Linkskurve passiert es dann: der Wagen gerät ins Schleudern, das Heck bricht aus. Quer gestellt rutscht die Karosserie unaufhaltsam zum Kurvenaußenrand. Jenseits der Fahrbahn stehen Bäume in nur geringem Abstand zur breiten Allee. Mit immer noch hoher Geschwindigkeit prallt der Wagen seitlich, auf Höhe der B-Säule in den Baum …

Tödliche Botanik am Sraßenrand

Der Beifahrer hat keine Chance – trotz Seitenaufprallschutz, denn dieser hat wegen fehlender Knautschzonen an den Seiten nun einmal seine Grenzen. Der Fahrer kannte die Strecke – vielleicht zu gut, hat seine Fähigkeiten überschätzt, die Widrigkeiten der nassen Fahrbahn unterschätzt. Die Geschwindigkeit war den örtlichen Gegebenheiten nicht angepasst.

si-baum-7Große Gefahren lauern jenseits der Fahrbahnen: Mehr als ein Drittel der Verkehrstoten in Deutschland stirbt bei Unfällen, bei denen das Fahrzeug von der Straße abkommt. Siebzig Prozent dieses Drittels stirbt an einem Baum, Schild oder Pfosten. Schon relativ geringe Geschwindigkeiten reichen für fatale Folgen eines Zusammenpralls aus. Mit Tempo 40 war das Fahrzeug unterwegs, welches im Crashtest-Versuch der Unfallforschung von DEKRA und Winterthur ins Schleudern kam und seitlich gegen einen Baum prallte. Die massiv eingedrückte Fahrzeug-Seite spricht Bände.

 
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=88cu2zTIbqI
 

si-baum-1Die Ursachen für ein Abkommen von der Fahrbahn sind vielfältig: Nicht angepasste Geschwindigkeit, feuchte Straßen, Herbstlaub, leichtsinnige Überholmanöver, Unebenheiten auf Straßen, die durch das Wurzelwerk der Bäume beschädigt sind, irritierende Hell-Dunkel-Wechsel unter den Bäumen (Stroboskop-Effekt) oder einfach gnadenlose Selbstüberschätzung. Letzterer erliegen vor allem ortskundige Fahrer: Man kennt die Strecke ja, also was soll schon passieren. Man ist weniger aufmerksam, fährt zu schnell. Das Gros der Ursachen liegt also beim Fahrer. Und natürlich muss man hier ansetzen, wenn man die Unfallzahlen verringern will.

 

si-baum-2Einen wichtigen Beitrag leisten auch die konstanten Verbesserungen an Fahrzeugen, die sowohl der aktiven wie der passiven Sicherheit dienen. Aber auch dem Umfeld muss man mehr Beachtung schenken, wenn man die Sicherheit auf den Straßen verbessern will.

Baumwuchs an den Straßen außerorts ist gefährlich, davor warnen Experten schon seit vielen Jahren. Leider stoßen sie aber bei den Verantwortlichen auf taube Ohren: Immer noch werden an neuen Landstraßen Bäume gepflanzt, ohne einigermaßen ausreichenden Abstand zur Straße. Zugegeben: die Bäume sind nicht Schuld an den Unfällen, aber sie sind definitiv Schuld an den verheerenden, vielfach tödlichen Folgen dieser Unfälle. Hier ist ein Umdenken dringend erforderlich: Bäume gehören nicht an den Straßenrand!

Ein Abholzen der Alleen fordert niemand, das wäre auch nicht durchzusetzen. Und niemand verlangt, dass an neu geplanten und gebauten Straßen um der Sicherheit willen auf Bewuchs verzichtet werden muss. Bäume sollten jedenfalls nicht dorthin!

Die Leitplanke …

 
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=RhRYsyeF0MA
 

si-baum-5Leitplanken sind bei dicht an der Fahrbahn stehenden Bäumen auch kein Schutz, schützen den Baum eher als den verunglückenden Fahrer. Zudem besteht die Gefahr, dass das Fahrzeug zurück auf die Fahrbahn, u. U. sogar in den Gegenverkehr geschleudert wird. Im Versuch auf dem Testgelände schleuderte der Pkw nur deshalb nicht in den aufgestellten Gegenverkehr, weil der Wagen ferngesteuert sofort mit einer Idealbremsung zum Stehen gebracht werden konnte.

si-baum-6Nur: welcher Fahrer ist nach einem Crash in die Leitplanke bei einem ausbrechenden Auto in der Lage, eine solche Musterbremsung hinzulegen? Bremsen wird er vermutlich schon, aber wirklich mit voller Kraft?

 
 
 
 

Die Lösung …

 
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=PsYAhTJZNFM
 

si-baum-3Die Lösung präsentierten die Unfallforscher in einem dritten Crashversuch: Büsche statt Bäume. Das dichte Gebüsch gab nach, fing den ins Schleudern geratenen Wagen relativ sanft ab und setzte ihn wieder auf die Straße, wo er sofort liegen blieb. Ein paar Kratzer und leichte Beulen an der Karosserie sowie ein abgeknickter Außenspiegel lautet die eher harmlose Bilanz dieses Unfalls. „Achtmal geringere Kräfte wirken auf die Insassen ein, als wenn der Wagen gegen einen Baum prallt“, begründet Anton Brunner, Leiter der Winterthur-Unfallforschung, das geringere Verletzungsrisiko. Die Alternativen sind also vorhanden: nun ist es an der Zeit für die Verantwortlichen, verantwortungsvoll zu handeln!

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© Juli 2001 Petra Grünendahl,
Fotos: Petra Grünendahl,
Filme: Dekra (3)

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