Golf II gegen Golf IV: Schlechte Karten in alten Autos (2001)

Von Petra Grünendahl

Die alten Golf-Modelle der ersten und zweiten Generation sind typische Anfänger-Autos. Langlebig, billig zu haben und wenn mal ne kleine Beule dran kommt, ist es nicht so schlimm. Solche Autos sind für wenige Hunderte bis knapp über einen Tausender zu haben und tun einem Führerscheinneuling in der Kasse nicht so weh.

Neue Autos zeichnen sich außer durch den erheblich höheren Preis auch in punkto Crashsicherheit durch immer bessere Ergebnisse im Euro-NCAP, dem Standardtest für Crashsicherheit, aus. Hier sieht man die Anstrengungen der Automobilindustrie, dem Interesse des Marktes nach sichereren Autos zu folgen. Was aber nun, wenn ein ganz neuer auf einen alten Wagen trifft – frontal und ungebremst?

Der billige Alte und der teure Neue treffen sich täglich auf der Straße. Meistens rollen sie problemlos an einander vorbei. Hin und wieder aber nicht. Da treffen sie dann mehr oder weniger frontal aufeinander. Enge Straße, zwei Autos, der eine Wagen gerät etwas auf die Gegenfahrbahn – und schon ist es passiert: Die beiden Fahrzeuge stoßen mit Teilüberdeckung zusammen.

si-golf-1Die DEKRA hat in ihrem Crashzentrum in Neumünster einen solchen alten Golf frontal auf einen neuen Golf fahren lassen – bei Tempo 55. Und das ist ja noch keine Geschwindigkeit, 55 km/h fährt man auch in der Stadt.

Dabei stand vor allem im Blickpunkt, welche Sicherheit die Kontrahenten aus verschiedene Fahrzeuggenerationen ihren Insassen bieten würden. Die Bedingungen waren hart: 40 Prozent der Front eines alten Golf gegen 36 Prozent der Front des breiteren neuen Golf. Bei einer 100prozentigen Überdeckung kann die ganze Front die Wucht des Aufpralls auffangen, bei der Teilüberdeckung wird die Karosserie einseitig belastet.

 
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=299hZ3slskk
 

Start frei: Die Fahrzeuge fahren aufeinander zu, von Winden gezogen, auf Tempo 55 beschleunigt. Dann der Aufprall: Die Frontpartien treffen sich, das Heck hebt etwas ab. Beide Fahrzeuge drehen sich wie beim Walzer mit dem Heck weiter in Fahrtrichtung. Ein Scheinwerfer fliegt durch die Luft. Die Frontscheibe des alten Golf hat sich beim Crash aus der Gummidichtung gelöst, ist in hohem Bogen geflogen und knapp zwei Meter weiter zu Boden gegangen.

si-golf-5Das Ergebnis überrascht nicht: Der Vorbau des Zweier-Golf wird auf der rechten Seiten weit in den Passagierraum gedrückt, der Fahrer vermutlich von seiner eigenen A-Säule erschlagen. Der linke Arm des Fahrers hängt etwas ausgekugelt herunter, beide Beine dürften gebrochen sein, von Knöcheln und Füßen mal ganz zu schweigen. Wo der Fahrersitz war befinden sich nun das Armaturenbrett und der Motorraum – oder vielmehr, was davon übrig geblieben ist, denn die Karosserie ist an dieser Stelle alles andere als sauber zusammengefaltet. Der Schweller ist an der linken Seite unter der Fahrertür komplett zusammengebrochen, der Vorderreifen ist an seine Stelle gerückt.

si-golf-6Der Beifahrer ist sowohl am Kopf wie im Brustbereich besonders belastet gewesen, wie die Sensoren in den Dummys erfassten. Der unnachgiebige Sicherheitsgurt früherer Jahre drückt den Fahrtrichtung drängenden Oberkörper unnachgiebig zurück, wo heute Gurtkraftbegrenzer für eine ausgewogene Kraftverteilung sorgen und das Risiko von Brustbein- und Rippenbrüchen senken. Auch an den Knien und im Fußraum wurde es bei beim Beifahrer eng.

si-golf-4Der neue Golf ist im Motorraum schrecklich eingedrückt, die Frontpartie hat die ganze Aufprallenergie geschluckt. Von der Seite erkennt der Beobachter aber schnell, dass die komplette Fahrgastzelle praktisch unversehrt ist. Ganz leicht verzogen muss sie schon sein, denn die Fahrertür geht nicht mehr auf. Die Rückhaltesysteme und Frontairbags haben ihre Pflicht getan, Fahrer und Beifahrer sitzen locker aufrecht vor ihren geöffneten Luftsäcken. Die Belastungen auf Kopf, Brust und Oberschenkel liegen deutlich unter denen der Unfallgegner.

si-golf-2Alt gegen neu: Welche Fortschritte bei der Sicherheitsentwicklung werden deutlich? Der alte Golf, Baujahr 1987, mit 90-PS-Motor, fuhr frontal auf einen Golf, Baujahr 1998, mit 75-PS-Motor. Beide Fahrzeuge hatten vier Türen, die Fenster und Schiebedächer waren offen. Damit hatten die DEKRA-Tester die Vergleichbarkeit der Typen sichergestellt, nicht gerade nach den Kriterien besonderer Stabilität, aber wer fährt im Sommer nicht so weit offen wie er kann.

Der alte Golf hatte zwar schon mal einen Unfall gehabt, war danach aber fachmännisch repariert worden. Der Zustand war für sein Alter sehr gut: technisch einwandfrei, kein Rost schwächte die Karosserie. Ein Zweier-Golf ganz ohne Vorschäden war nicht aufzutreiben.

si-golf-3Der neue Golf verfügt serienmäßig über eine Sicherheitsfahrgastzelle mit zusätzlichen Verstärkungen vorne, in den Schwellern und den Türen. Konstruktionsbedingt können auch die Pedale nicht so weit in den Innenraum eindringen, die Lenksäule ist teleskopierbar und schiebt sich zusammen, ohne dem Fahrer das Lenkrad in die Brust zu drücken. Das Gurtsystem sorgt mit Gurtstraffern und Gurtkraftbegrenzern sowie Front- und Seitenairbags für Fahrer und Beifahrer für zusätzliche Sicherheit.

Der ältere Golf verfügt über einfache Drei-Punkt-Sicherheitsgurte, die einfach nur gnadenlos zupacken. Gegenüber dem Golf I verstärkte Träger im Boden der Karosserie erfüllten damals (Anfang der 80er Jahre) gestiegene Sicherheitsanforderungen, konnten aber in keinster Weise gegen den schweren Vierer-Golf standhalten.

si-golf-7Zwischen den beiden Fahrzeugen liegen gut 15 Jahre Entwicklungsfortschritt. Der Crash zeigte, warum trotz gestiegener Fahrleistungen und einem größeren Fahrzeugbestand die Zahl der Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr kontinuierlich abnimmt.

Zwischen alten und neuen Kraftfahrzeugen liegen Welten in Sachen Fahrzeugsicherheit. Wer kann, sollte lieber etwas mehr Geld in ein neueres Auto investieren und sich keine ganz so alten gebrauchten Kompakt- oder Kleinwagen kaufen. Höhere Sicherheitsstandards und größere Überlebenschancen bei einem schweren Unfall rechtfertigen auch einen höheren Kaufpreis.

© Juni 2001 Petra Grünendahl, Fotos: pet, Film: Dekra