Von Petra Grünendahl
„Selbst erfahrenen Verkehrspolizisten sind immer wieder erstaut, wenn es an die Kontrolle der Sicherungspflicht im Auto geht. Gurt anlegen? – Nein, danke!“, meldete kürzlich eine westdeutsche Regionalzeitung. Von 1.886 kontrollierten Autofahrern wurden in Düsseldorf 130 Fahrer ohne Gurt erwischt, dazu kamen 35 Kinder, die nicht oder nur unzureichend gesichert waren.
Streng genommen waren diese Zahlen ja noch recht gut, liegt bei dieser innerstädtischen Kontrolle die Sicherungsquote der Fahrer immerhin bei 93 Prozent. Nach Untersuchungen des Bundesamtes für Straßenwesen (BAST) liegen in Deutschland die Anschnall-Quoten innerorts bei knapp 90 Prozent, auf Landstraßen bei 94 Prozent und auf Autobahnen bei 97 Prozent, obwohl es hierzulande seit 1976 eine Gurttragepflicht auf den Vordersitzen sowie seit 1984 auf den Rücksitzen gibt. Autofahrer in den Nachbarländern Schweiz und Österreich legen noch seltener den Sicherheitsgurt an. Dabei drohen in Deutschland Geldbußen zwischen 30 und 45 Euro pro nicht gesichertem Passagier, im europäischen Ausland sogar zum Teil ein vielfaches der deutschen Geldbuße. Die sollten man aber nicht nur aus Kostengründen vermeiden, sondern vor allem der Sicherheit wegen.
Dabei sind die Sicherheitsgurte auch heutzutage immer noch ein integraler Bestandteil des passiven Insassenschutzes. Ohne angelegte Sicherheitsgurte können zum Beispiel auch die Airbags ihr Sicherungspotenzial nicht entfalten. Der nicht angeschnallte Passagier ist beim Auslösen des Airbags schon zu weit nach vorne geschleudert und schlägt auf dem Lenkrad oder (als Beifahrer) auf dem Armaturenbrett auf, bevor sich der Airbag entfalten kann.
Moderne Gurtsysteme, wie sie in fast allen neuen Autos heutzutage verbaut werden (Ausnahme auf dem deutschen Neuwagen-Markt ist ein rumänischer Billigimport), kombinieren die Dreipunktgurte mit Gurtstraffern und Gurtkraftbegrenzern. Diese verlangsamen die Verzögerung des Insassen kontrolliert und bieten im Zusammenspiel mit den Airbags optimierte Sicherheitsreserven. Ältere Systeme ohne diese Features lassen den Passagier erst zu weit nach vorne schießen, bevor sie ihn festschnüren. Aufgrund hoher Verzögerungswerte drohen hier schwerwiegende innere Verletzungen.
Schon innerorts, wo die meisten Unfälle passieren, aber die Anschnallquoten am geringsten sind, drohen ohne Gurt schwere Verletzungen. Bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 14 km/h gegen eine starre Barriere wirken Kräfte, die dem Achtfachen des eigenen Körpergewichtes entsprechen. Das kann auch ein Fahrer am Lenkrad nicht mit seinen Armen auffangen.
Die Unfallforscher der DEKRA und der schweizerischen Winterthur Versicherung haben Unfälle mit nicht angegurteten Passagieren untersucht und zeigten bei Crashtests im Juni 2005 die Folgen.
1. Crash: Frontalkollision – Gegenverkehrsunfall
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=hDjsZygfLCU
Zwei Kleinwagen prallen mit Innerortsgeschwindigkeit von 50 km/h frontal (mit Teilüberdeckung) aufeinander. Die Fahrer sind angeschnallt, die Beifahrer nicht.
Gerade bei Frontalkollisionen entfaltet der Sicherheitsgurt eine hohe Schutzwirkung. Die nicht angegurteten Beifahrer prallen mit voller Wucht auf das Armaturenbrett oder die Windschutzscheibe auf. Auch der Airbag völlig nutzlos (wie die Daten des Dummys im neuen Polo zeigen), weil der Beifahrer schon durch den Airbag durchschlägt, bevor dieser sich richtig entfalten kann. Die Aufprallwucht bei 50 km/h ist übrigens vergleichbar mit einem Sturz aus dem vierten Stock.
Bei diesem Crash wird aber auch einmal mehr deutlich, wie viel mehr Überlebenschance die Insassen in einem neuen Fahrzeug mit modernsten Rückhaltesystemen (hier ein VW Polo IV) im Vergleich zu einem älteren Auto …
… (hier ein VW Golf I) haben (vergleiche auch Frontalkollision Golf IV gegen Golf II von 2001), denn auch für den angeschnallten Fahrer des Golf I sieht es nach den Zusammenstoß in der zusammengefalteten Karosserie nicht wirklich gut aus …
2. Crash: Seitenkollision – Kreuzungsunfall
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=iFk47EbDbUo
Zwei Kleinwagen sind mit 45 km/h unterwegs, als sie (an einer Kreuzung?) im rechten Winkel zusammenprallen. Auch hier sind die Fahrer angegurtet, die Beifahrer nicht.
Durch die Wucht des Aufpralls kann der nicht angeschnallte Beifahrer in die andere Seite des Fahrzeugs gedrängt werden und dadurch den angegurteten Fahrer gefährden. Allerdings stößt der Sicherheitsgurt hier an die Grenzen seiner Wirksamkeit, da der Schultergurt den Oberkörper in seitlicher Richtung nicht optimal fixieren und dadurch seine Rückhaltefunktion nur eingeschränkt erfüllen kann.
Abhilfe schaffen hier künftig neue Gurtsysteme, die mittels elektronischer Sensoren auch einen Seitenaufprall erkennen und den Gurt in der Kollisionssituation entsprechend straffen können.
Der Beifahrer des frontal einfahrenden Fahrzeugs fliegt allerdings mehr oder weniger haltlos einfach durch den Passagierraum …
3. Crash: Fahrzeugüberschlag
Hier geht es zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=G9YW71LIMZQ
Ein Kleinwagen wird mit 40 km/h zum Überschlag gebracht. Die Insassen sind teilweise angegurtet, teilweise nicht.
Die nicht angeschnallten Insassen müssen mit gravierenden Verletzungen rechnen: Bei einem Überschlag werden sie gegen die Fahrzeugkarosserie geschleudert oder prallen mit anderen Passagieren zusammen. In einer Überschlagsituation können nicht gesicherte Insassen leichter aus dem Auto herausgeschleudert werden, zum Beispiel durch offene Fenster oder Sonnendächer und natürlich aus einem geöffneten Cabrio. Das Verletzungs- bzw. Todesfallrisiko steigt dadurch enorm an.
Nicht angeschnallte Passagiere auf den Rücksitzen
Seit 1984 ist in Deutschland das Anschnallen auch auf der Rückbank Pflicht, die Anschnallquote hier liegt bei ca. 85 Prozent. Nicht angegurtete Insassen gefährden aber grundsätzlich auch ihre Mitfahrer. Die nicht gesicherten Fondpassagiere prallen bei einen frontalen Aufprall mit den vielfachen ihres Körpergewichtes in die Vordersitze und gegen die vorderen Kopfstützen. Da haben auch angeschnallte Frontpassagiere schlechte Überlebenschancen!
Ein Schlusswort: Der Sicherheitsgurt entscheidet über Leben und Tod!
Die immense Bedeutung des Sicherheitsgurtes dokumentiert ein Realunfall bei hoher Geschwindigkeit (etwa Tempo 140) sehr gut: Ein alter Audi A3 (Bauzeit 1996 – 2003, 4 Sterne EuroNCAP 1997) prallte frontal gegen einen Nissan Almera der aktuellen Generation (Bauzeit ab 2000, 4 Sterne im EuroNCAP 2001). Im schwerer beschädigten Nissan Almera (teilweise kollabierte Fahrgastzelle) erlitt der angegurtete Fahrer schwere Verletzungen an den Beinen durch das in den Passagierraum gedrückte Armaturenbrett. An Kopf und Oberkörper wurde er nur leicht verletzt.
Der nicht angeschnallte Fahrer im deutlich weniger eingedrückten Audi A3 (Fahrgastzelle intakt) verstarb an der Unfallstelle: die Halswirbelsäule war gebrochen. Angeschnallt wäre dem Audi-Fahrer deutlich weniger passiert als dem Nissan-Fahrer, da der Passagierraum praktisch unversehrt geblieben war …
Zum Thema „Angurten“ haben die Dekra und die Winterthur noch ein paar Tipps zusammengestellt.
© 2005 Petra Grünendahl,
Fotos: Petra Grünendahl (10), Dekra (1)
Filme: Dekra (3)
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