Mythos Winterreifen: Jahreszeitgerechte Bereifung

Die Tage werden kürzer; das Wetter schlechter. Und wie so oft lautet die Meldung beim ersten Glatteis: Staus und Unfälle wegen falscher Bereifung. Spätestens mit der allgemeinen Verschlechterung der Witterungsbedingungen sollten Kfz, Motorrad & Co. den Wetterwidrigkeiten angepasst sein – mit witterungsgerechter Bereifung. Doch alle Jahre wieder ist der Verbraucher verunsichert. Zu Recht, findet Dipl.-Ing. (FH) Udo Golka, denn der Sachverständige weiß, dass klare Bestimmungen und Richtlinien fehlen. Als Mitglied des Bundesfachbereiches Kfz innerhalb des BVS (Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e.V.) ist Golka ausgewiesener Experte für Reifenschäden.

Herr Golka, es herrscht Verunsicherung in punkto Fahrzeugreifen, gerade zur kalten Jahreszeit. Wie erklären Sie sich das?
Europäische und nationale Regelungen bilden hier eine Grauzone, da sie zum einen technische Hintergründe nicht berücksichtigen, zum anderen jedoch juristische Tatbestände schaffen. Das verunsichert natürlich. De facto existieren weder Normen noch Regelungen zum „Winterreifen“ und dieser Begriff ist auch nur in der Umgangssprache zu finden. Nach der Novellierung der Straßenverkehrsordnung (STVO) Ende 2010, die gleich drei verschiedene EU-Richtlinien berücksichtigt, ist diese nunmehr für einen Normalbürger kaum noch zu verstehen. Ist man auf der Suche nach einer geeigneten Bereifung für den Winter, so greift man auf M+S Reifen zurück.

Was versteht die Öffentlichkeit denn unter Winterreifen? Und was versteht man unter M+S Reifen?
„Winterreifen“ ist ein umgangssprachlicher Begriff. Entsprechend gibt es keine Verordnungen und keine gesetzlichen Grundlagen, die Winterreifen definieren. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber spricht von einer situativen Winterreifenpflicht und diese muss nicht zwangsläufig auf die kalte Jahreszeit zutreffen, wie wir sie hauptsächlich für den Zeitraum von November bis Februar kennen.
Gemeint sind eigentlich M+S Reifen, also Matsch-und-Schnee-Reifen, die auf die situativen, winterlichen Fahrbedingungen ausgerichtet sind, also über das entsprechende Profil und eine angepasste Gummimischung verfügen. Das Profil der Lauffläche und die Bauart besagter M+S Reifen sind so ausgelegt, dass diese Reifen bei Matsch oder frisch gefallenem Schnee besser reagieren als die normalen Straßenreifen.

Wie findet der Verbraucher dann die passenden Reifen für sein Fahrzeug?
Es gibt keine allgemein festgelegten Testkriterien für „Winterreifen“. Das heißt, dass man im Prinzip nur Reifen untereinander vergleichen kann, was ADAC, AMS, Stiftung Warentest, um hier nur einige von vielen zu nennen, ja auch tun. Die mitunter unterschiedlichen Ergebnisse für ein und denselben Reifen sprechen jedoch in dieser Hinsicht für sich. Und es obliegt den Reifenherstellern, eigene Eignungstests durchzuführen oder aber auch nicht. Zwar werden derzeit hierzu Regelwerke ausgearbeitet und sind im europäischen Abstimmungsverfahren; aber bis dato ist keine davon rechtsverbindlich. Selbstverständlich fordern beispielsweise Verbände wie der wdk (Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e.V.), der BRV (Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V.) oder auch der Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e.V. (BVS), dass der Gesetzgeber hier konkret wird. Es gibt jedoch das so genannte „Schneeflocken-Symbol“, welches ich als Qualitätsgarant erachte.

Was hat es mit dem Schneeflockensymbol auf sich?
Das Schneeflockensymbol (3PMSF) ist ein geschütztes Symbol, das seinen Ursprung in den USA hat und dessen Rechte in Deutschland beim wdk liegen. Auf dem US-amerikanischen Markt werden verschiedene Reifenarten, hierzu zählen unter anderem auch Sommer- und Geländereifen, generell mit M+S gekennzeichnet. Um zu differenzieren, ob ein Reifen auch „wintertauglich“ ist, wurde das Schneeflockensymbol eingeführt. Das offizielle Kürzel 3PMSF steht hier für Three Peak Mountain Snow Flake. Der Reifen wird anhand von fest definierten Prüfkriterien getestet. Das ist schon mal ein Anfang in punkto Qualitätskontrolle, Sicherheit und Vergleichbarkeit für den Verbraucher. Die WDK-angeschlossenen Hersteller testen ihre „Winterreifen“ in Anlehnung an dieses US-amerikanische Prüfverfahren, jedoch in leicht modifizierter Form. Ich betone jedoch, dass dies ein freiwilliges Verfahren der Reifenhersteller ist und zurzeit noch keiner Normung unterliegt.

Welche Vorteile bieten die Reifen mit dem Zusatz-Symbol 3PMSF?
Das Symbol kennzeichnet einen Reifen, der nach heutigem Stand der Technik sicher und für den Verwendungszweck geeignet ist. Qualitätsunterschiede lassen sich für einen Laien ja nicht erkennen. Zum Beispiel ist die Gummizusammensetzung ein wichtiges Kriterium. Aber auch das Profil des Laufstreifens und die gesamte Bauart des Reifens spielen eine zentrale Rolle.

Der richtige Reifen ist also ein Sicherheitsgarant. Können Sie dies bitte nochmals ausführen?
Gerne. Nehmen wir einmal das Bremsverhalten eines Reifens. Sie müssen sich vorstellen, dass die vier Kontaktflächen des Reifens gerade einmal so groß sind wie vier Handflächen. Hat ein Fahrer z. B. Anfang Oktober bei plötzlich auftretenden winterlichen Straßenverhältnissen keine M+S Reifen montiert und gerät in einen Unfall, so wird ihm, auch wenn er ggf. nicht der Unfallverursacher ist, in der Regel eine Teilschuld zugesprochen. Er verstößt gegen die STVO. Dies ist nur konsequent, denn der Bremsweg verlängert sich bei inadäquaten Reifen. Gleiches gilt auch für Reifen, die nicht über genügend Profil verfügen. Ein Neureifen verfügt in der Regel über 8 bis 9 mm Profil. Ist der Reifen auf 4 mm Profil abgefahren, verliert er bereits

10 Prozent seiner Haftung; unter 4 mm verlängert sich der Bremsweg bereits um 20 Prozent. Das ist immerhin die ungefähre Länge eines LKW-Sattelzuges. Zwar sieht der Gesetzgeber einen Reifen erst als abgefahren an, wenn er ein Profil unter 1,6 mm hat, aber auf Grund der eben genannten Fakten fordern wir zum Beispiel eine Anhebung des Mindestprofils. Aber letztlich muss hier der Fahrer entscheiden, solange er sich im gesetzlichen Rahmen bewegt. Ich kann nur sagen: Es geht um die eigene Sicherheit und die Sicherheit anderer. Zudem – der erste Meter eines Autos ist in der Regel auch der Teuerste. Hier lohnen sich gute Reifen mit gutem Profil.

Wie sieht es mit den Reifen bei einem Zwei– und Dreirad aus?
Alle zugelassenen Fahrzeuge – und hierzu zählen natürlich auch u. a. Motorräder, Roller, Quads und Trikes – unterliegen den Bestimmungen zur „situativen Winterreifenpflicht“. Das bedeutet: All diese Fahrzeuge müssen über eine entsprechende Bereifung verfügen, die auf die Witterungsverhältnisse abgestimmt ist. Im Prinzip also über M+S Bereifung.

Herr Golka, eine Empfehlung – wann kommen die M+S Reifen “drauf“, wann „runter“? Haben Sie weitere Tipps?
Als Faustregel kann man sich O bis O merken: von Oktober bis Ostern. Unterhalb von ca. 7 Grad Celsius sollte in jedem Falle wintertaugliche Bereifung vorhanden sein. Dringend rate ich auch, zum Beispiel Wintersportlern, die Vorgaben der jeweiligen Reiseländer zu beachten. Hier gibt es durchaus sehr unterschiedliche Regelungen. In der Schweiz und in Österreich z. B. gelten andere Bestimmungen als
in Deutschland. Hier müssen Winterreifen generell innerhalb eines definierten Zeitraumes montiert sein und nicht erst, wenn Schnee liegt, oder sie müssen sogar eine Mindestprofiltiefe von 3 mm aufweisen.

. Presseinfo des BVS (Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e.V.) –