Crashtest: Unfälle mit schweren Lkw enden oft tödlich

Forderung der Unfallforschung:
Mehr Schutz für schwächere Verkehrsteilnehmer

Von Petra Grünendahl

Beim Zusammenstroß mit dem abbiegenden Lkw haben Radfahrer schlechte Karten. Foto: Petra Grünendahl.

„Innerorts“ kollidiert ein Lkw beim Rechtsabbiegen mit einem Fahrradfahrer. Der Dummy kommt in diesem Fall zwar nicht unter die Räder, aber er landet doch samt seinem Fahrrad unter dem Lkw. Glück im Unglück – bei früheren Versuchen war der Dummy auch schon von den Rädern ab der zweiten Achse überrollt worden. Das Szenario ist typisch für Unfälle mit schweren Lkw auf städtischen Straßen. Die Opfer sind innerorts überwiegend Radfahrer oder Fußgänger, die vom Lkw-Fahrer nicht oder erst viel zu spät wahrgenommen werden, weil sie – trotz der vielen Seitenspiegel am Lkw – die entscheidenden Sekunden im toten Winkel verborgen sind. Bei Verkehrsunfällen mit schweren Lkw haben die Unfallgegner als die Schwächeren schlechteren Karten – nicht nur innerorts.
 
Trotz vieler Seitenspiegel haben Lkw eine toten Winkel. Foto: Petra Grünendahl.
Die Unfallforschung der Versicherer im GDV hat Unfälle mit schweren Lkw näher untersucht und dabei bestimmte Unfalltypen als besonders typisch erkannt. Die Ergebnisse der Studie stellte Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer im GDV*, im Pressegespräch zu einem Crashtest vor. Grundlagen des Forschungsprojekts der Unfallforschung war eine Sonderauswertung der Amtlichen Unfallstatistik von 2014 (Quelle: destatis), eine In-Depth-Analyse der Unfalldaten 2016 aus Brandenburg (der GDV und seine Unfallforschung sitzen in Berlin) sowie die Auswertung der Unfalldatenbank der Versicherer. Zudem flossen Ergebnisse einer Befragung von Lkw-Fahrern in die Studie mit ein. Aus dem Zahlenmaterial generierten die Unfallforscher typische Muster von Lkw-Unfällen. Die Studienergebnisse rundeten die Unfallforscher mit Empfehlungen ab, wie solche Unfälle und insbesondere die schweren Folgen für schwächere Verkehrsteilnehmer minimiert werden können.
 
https://www.youtube.com/watch?v=oC8_qp2pWLU
Diese Bilder stammen aus früheren Versuchen der UDV
 
Unfallforscher analysierten Unfälle mit schweren Lkw
Beim Zusammenstroß mit dem abbiegenden Lkw haben Radfahrer schlechte Karten. Foto: Petra Grünendahl.
Im Jahr 2014 waren Güterkraftfahrzeuge mit über 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (so genannte schwere Lkw) an 9.324 Unfällen mit Personenschäden mit mindestens zwei Beteiligten beteiligt. In 51 Prozent dieser Unfälle waren die schweren Lkw Hauptverursacher. Von diesen Unfällen waren 2.365 Unfälle mit Schwerverletzten, 467 Unfälle mit Getöteten. Auch in Relation zu den gefahrenen Kilometern ist das Risiko von Personenschäden überdurchschnittlich hoch im Vergleich zum Pkw. Das Risiko der Unfallfolgen steigt bei Sattelzugmaschinen deutlich an. Diese Kategorie von schweren Fahrzeugen ist im überregionalen, um nicht zu sagen: transkontinentalen Güterverkehr unterwegs auf deutschen Autobahnen. Das bedeutet auch: viele Zugmaschinen sind gar nicht in Deutschland zugelassen. Das erschwert die Umsetzung vorhandener deutscher Vorschriften auf den hiesigen Lkw-Verkehr insgesamt.
 
Beim Zusammenstroß mit dem abbiegenden Lkw haben Radfahrer schlechte Karten. Foto: Petra Grünendahl.
Schwerpunktmäßig gibt es drei Unfallszenarien, die immer wieder vorkommen. Innerorts ist es der klassische Abbiegeunfall aus dem Crashtest. Hier überwiegen die Lkw als Hauptverursacher von Unfällen. Außerorts und insbesondere auf der Autobahn sind es Auffahrunfälle: ein Lkw fährt – zumeist am Stauende – auf einen Pkw auf; oder ein Pkw auf dem Lkw. Hier hält die die Hauptschuld am Unfall in etwa die Waage. Übermüdung, Ablenkung und zu geringer Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug führen immer wieder zu Auffahrunfällen. Ist ein Lkw beteiligt, sind die Unfallfolgen gravierender als bei Auffahrunfällen von Fahrzeugen ähnlicher Gewichtsklassen.
 
Der ersten Konstellation von Außerorts-Unfällen sind gut ein Fünftel aller schweren Lkw-Unfälle zuzurechnen – und rund 30 Prozent der Getöteten. Aber auch bei der zweiten Kategorie, wenn ein Pkw auf einen Lkw auffährt, sind die Folgen für den Auffahrenden oft gravierend, weil der hintere Unterfahrschutz nicht kompatibel ist mit den Schutzmechanismen des Pkw. Dies gilt insbesondere für den versetzten Aufprall. Knautschzonen und Airbags helfen den Insassen nur wenig, weil sie nicht optimal wirken können.
 
Forderungen der Unfallforschung
Beim Zusammenstroß mit dem abbiegenden Lkw haben Radfahrer schlechte Karten. Foto: Petra Grünendahl.
Die Unfallforschung der Versicherer formuliert als Erkenntnis aus ihrer Studie Forderungen, die geeignet sind, Unfälle zu verhindern oder Unfallfolgen zu mindern.
 
Um das Risiko auffahrender Lkw zu senken, sollte die Gesetzgebung angepasst werden, um die Wirksamkeit des schon heute vorgeschriebenen Notbremssystems deutlich zu erhöhen. Das heißt, das System darf nicht dauerhaft deaktivierbar sein, sollte auch bei stehenden Zielen vollständig abbremsen, einspurige Fahrzeuge und Fußgänger erkennen und bei maximal erreichbarer Geschwindigkeit des Fahrzeugs getestet werden. Das ist alles technisch machbar, braucht aber wohl zur Marktdurchdringung entsprechende Vorschriften des Gesetzgebers.
 
Beim Zusammenstroß mit dem abbiegenden Lkw haben Radfahrer schlechte Karten. Foto: Petra Grünendahl.
Auffahrunfälle von Pkw, Lieferwagen und Klein-Transportern auf Lkw ließen sich bei einer flächendeckenden Marktdurchdringung in der Ausstattung dieser Fahrzeuge mit Notbremssystemen reduzieren. Der stetig alternde Fahrzeugbestand insbesondere bei Pkw setzt dieser Variante allerdings Grenzen. Wirksamer wäre deswegen zunächst die Optimierung beim Unterfahrschutz, wo der Gesetzgeber mit entsprechenden Vorschriften gefordert ist. Die Einführung dynamischer Testverfahren unter Berücksichtigung von Teil- und geringer Überdeckung könnten hier eher Ziel führend sein.
 
Bei Abbiegeunfällen hilft ein Elektronischer Abbiege-Assistent für Lkw weiter, bei dem der Gesetzgeber mindestens eine warnende Funktion vorschreibt. Besser noch wäre ein vorgeschriebenes System mit Notbremsfunktion – und die Ausstattungspflicht müsste auch für Bau- und Entsorgungsfahrzeuge gelten. Kamera-Monitor-Systeme könnten eine Übergangslösung sein. Die bislang schon vorgeschriebenen Spiegel reichen definitiv nicht aus. In die Pflicht nehmen die Unfallforscher aber auch die Kommunen: Die Radwegführung gehöre in Einmündungsbereichen direkt an die Fahrbahn, so die Experten.
 
An ihre Grenzen stoßen zumindest die technischen Maßnahmen dort, wo ausländischen Lkw auf deutschen Straßen unterwegs sind, die nicht in dem Maße deutscher Gesetzgebung unterliegen wie die einheimischen Lkw. „Mit deutscher Zulassung sind überwiegend neue Lkw unterwegs“, erklärte Siegfried Brockmann. Über drei Viertel der Lkw seien jünger als 7 Jahre. Bei den mit ausländischen Kennzeichen fahrenden wäre dies anders: „Dorthin werden die ausgemusterten deutschen Lkw oft verkauft“, so Brockmann. Mit neuen Kennzeichen sei dann alte und veraltete Technik doch wieder auf deutschen Straßen unterwegs.
 
Weitere Forderungen der Unfallforscher treffen direkt alle auf Deutschland Autobahnen fahrenden Güterkraftfahrzeuge: Mehr Kontrollen bei Lenk- und Ruhezeiten, Geschwindigkeits- und Abstandskontrollen – und mehr Rastplatzkapazitäten mit Parkplätzen für Lkw-Fahrer, damit diese die vorgeschriebenen Ruhezeiten auch einhalten können, ohne dabei andere zu gefährden. Gerade die fehlenden Lkw-Parkplätze an Fernstraßen sind auch in diesem Forum schon häufiger angesprochen worden.
 
*) GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
 
© 2017 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
Film: Unfallforschung der Versicherer
 

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